Depression: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Oder doch nicht? Vom Unterschied zwischen helfen und zuhören. (Triggergefahr!)
In den letzten Tagen ging es mir nicht gut. Ein bedrückender Jahrestag näherte sich. Nicht der Anlass ist aber das Entscheidende, sondern dass mein Nervenkostüm zu dieser Zeit dünner als sonst ist und jegliche (empfundene) Konfrontation mich schlimmer als sonst mitnimmt. Genau dann passiert es besonders häufig und deutlich, dass Menschen, deren Beziehung zu mir von gegenseitigem Respekt, Zuneigung und Achtung geprägt ist, meine Grenzen überschreiten und meine Souveränität über mich selbst sabotieren. Oder zumindest nehme ich es so wahr.
Warum ist das so? Liegt es an mir oder an ihnen? Das ist gar nicht so klar zu beantworten, wie man vielleicht zunächst glauben sollte, erklärt sich aber wohl am besten durch genaueres hinschauen, was da eigentlich passiert.
Mir geht es also nicht gut. Das ist Teil meines persönlichen „Normal“ um diese Zeit; ändert aber nicht, dass es mich bedrückt und ich Redebedarf habe, reflektieren und meine Gedanken sortieren will. Ich wende mich Menschen zu, mit denen ich eine positive Verbindung habe. Diese nehmen folgerichtig wahr, dass es mir nicht gut geht und haben in den meisten Fällen den Impuls helfen zu wollen – wir sind ja schließlich einander wohlgesonnen. Die naheliegenden Methoden sind Freundlichkeit und aufmunternde, hilfreiche Worte. Und genau hier beginnt ironischerweise das Problem:
Ein Merkmal vieler depressiver Menschen ist, dass wir um uns selbst kreisen, besonders wenn es uns nicht gut geht. Alles Denken und Fühlen dreht sich nahezu ausschließlich um unsere eigene Befindlichkeit und lässt keinen Raum für Anderes. Ich bin mir – auch in diesen Situationen – dessen bewusst. Es kotzt mich an. Maßlos! Aber ich bin dann auch unfähig, daran etwas zu ändern und bin dem faktisch machtlos ausgeliefert.
Da ist also nun Mensch, von dem ich Positives erwarte und der mir auch von Herzen Positives geben will. Ich will aber keine helfenden Ratschläge und Unterstützung sondern brauche jemanden der zuhört, damit ich meine Gedanken sortieren kann. Das führt zu beiderseitiger Frustration, denn mir fehlen gerade schlicht die Ressourcen, meinem Gegenüber sozialverträglich mitzuteilen, dass ich das, was ich gerade bekomme, weder will, brauche, noch verarbeiten kann; und besagtes Gegenüber fühlt sich – zu recht! – zurückgewiesen und vor den Kopf gestoßen, weil ich so ablehnend auf dessen Unterstützungsangebot reagiere; immerhin bin ich doch derjenige, der sich an sie/ihn gewandt hat!
Diese schuldlose Missinterpretation meines eigentlichen Anliegens zwingt mich nun dazu Kapazitäten aufzubringen mich von etwas abzugrenzen, weil ich gerade nicht die Kraft habe, mich mit irgendwas anderem als meinem Anliegen auseinanderzusetzen. Ein mir lieber Mensch führt mir also sozusagen nochmal explizit meine Machtlosigkeit mir selbst gegenüber vor Augen, raubt mir „ungefragt“ in mehrfacher Hinsicht unendlich wertvolle Energie, ohne dass mich mich dessen erwehren kann und empört sich dann auch noch darüber, dass ich davon alles andere als begeistert bin!
Wie lässt sich das aber lösen? Die einzige halbwegs gangbare Möglichkeit, die mir einfällt, ist, dass mein Gegenüber – z.B. durch Nachfrage – die alles andere als leichte Aufgabe schafft einen Schritt zurückzutreten und zu sehen, dass ich nicht tatsächlich nach Hilfe gesucht sondern lediglich Redebedarf habe. Ich bekomme das in diesen Fällen fast nie formuliert. Auch wenn es das bestimmt nicht viel besser macht, entschuldige ich mich im Nachgang dennoch gerne für meine unangebrachte Reaktion aufgrund meiner Frustration über die Unfähigkeit angemessen und würdigend zu reagieren. Denn das Kernproblem wohnt ja ursächlich in mir und meiner Krankheit, nicht im Verhalten des Anderen.
Gastautor: Sven G.